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 SICHERUNG VON BEWEISEN
Der Zeugenbeweis
 FALLSTRICKE IM RECHT
Ausschlussfristen im Arbeitsrecht
mehrere Kündigungen u. Küschu-Klage
Kündigung im Mietrecht bei Zahlungsverzug
Aussage im Straf/Owi-Verfahren?
Sicherung von Beweisen
Zustellung
Fristen bei Reisemängeln
Räumungs.- und Zahlungsklage

DER ZEUGENBEWEIS

Der Zeugenbeweis




 
 



Unter Juristen besteht weitgehend Einigkeit, daß in Gerichtsverfahren nach hiesigem Prozessrecht der Beweis durch Zeugen zwar eines der wichtigsten, gleichzeitig aber auch das schlechteste Beweismittel darstellt, weswegen in anderen europäischen Ländern wie z.B. Frankreich ein Zeugenbeweis im Zivilprozeß weitestgehend nicht zulässig ist.

Gründe sind neben der bewußten Lüge insbesondere häufige Wahrnehmungsmängel des Zeugen in optischer und/oder akustischer Hinsicht, bestimmte Erwartungshaltungen oder Vorurteile auf Grund sozialer Gegebenheiten wie Herkunft, Bildung und Beruf, Einordnungsprobleme des Zeugen, Gedächtnismängel, suggestive Beeinflussungen, die Tendenz bloße Schlußfolgerungen mit der Wahrnehmung von Tatsachen zu verwechseln, usw, usw.

Während der Referendarausbildung des Verfassers veranstaltete der ARGE-Leiter ein Experiment, daß urplötzlich zwei (eingeweihte) Referendarskollegen in den Unterrichtsraum stürmten, lautstark stritten und schließlich sogar ansatzweise tätlich wurden. Unmittelbar im Anschluß sollten sodann die leicht verblüfften Referendare einschließlich des Verfassers ihre Wahrnehmungen schriftlich niederlegen. Das Ergebnis war niederschmetternd. Obwohl keiner der Kollegen eine emotionale oder wirtschaftliche Beziehung zum Geschehen hatte und obwohl sich jeder einzelne schon von "Berufs wegen" um besondere Objektivität bemühte und jedem wohl auch auch die oben er- wähnten Wahrnehmungprobleme bekannt waren, kamen fast halb soviele unterschiedliche Tatversionen heraus, wie Kollegen im Raume saßen.

Dieses Ergebnis wird durch die Wissenschaft bestätigt, wonach davon ausgegangen werden kann, daß ca. 50 Prozent der in Gerichtsverfahren verwerteten Zeugenaussagen unwahr oder irrig sind. Nach BENDER/RÖDER/NACK "Tatsachenfeststellung vor Gericht", Band I, Rdn.2 soll sogar davon ausgegangen werden müssen, daß die fehlerfreie Aussage eher die Ausnahme als die Regel ist!

Völlig anders sieht nun aber die gerichtliche Praxis aus . Hier gilt weitestgehend der Grundsatz, daß jedem Zeugen geglaubt wird, wenn nicht ausnahmsweise massive und sich geradezu aufdrängende Anhaltspunkte für einen Irrtum oder eine Lüge des Zeugen im Raum stehen. In einer Untersuchung des "Institutes für Rechtstatsachenforschung Stuttgart e.V." wurden ca.1400 Zeugenaussagen auf ihre Akzeptanz durch den Amtsrichter untersucht mit dem erstaunlichen Ergebnis, daß in mehr als 95 % der Fälle den Zeugen geglaubt wurde und nur 65 Mal die Aussagen nicht glaubhaft er- schienen. Einer Untersuchung von BÜRKLE, der 1749 amtsgerichtliche Urteile auf die Beweis- würdigung hin ausgewertet hat kommt zu dem noch erstaunlicheren Ergebnis daß bei 1003 Zeu- genaussagen in 71 % (!!) der Fälle nicht einmal ansatzweise eine Begründung für die vom Gericht angenommenen Glaubwürdigkeit der Zeugenaussage gegeben wurde.

Bedenkt man nun, daß wohl mehr als die Hälfte der Prozesse in 1. Instanz nicht strittige Rechts- ansichten bei unstreitigem Sachverhalt zum Gegenstand haben sondern der eigentliche Streitpunkt nur die jeweils unterschiedlichen und voneinander abweichenden Sachverhaltsdarstellungen sind, läßt sich erahnen, wie viele Urteile tatsächlich materiell falsch sein müssen, weil entscheidungs- erhebliche Fragestellungen bezüglich der Glaubwürdigkeit eines Zeugen und die Glaubhaftigkeit der Aussagen vom Gericht nur schematisch behandelt werden.

Eine der Ursachen dieses bedauerlichen Phänomens mag darin liegen, daß eine sorgfältige Prüfung der Glaubwürdigkeitsfrage und der Frage der Aussagenglaubhaftigkeit natürlich zusätzliche Zeit erfordert, die bei dem heute herrschenden juristischen "Massenbetrieb" gerade in Verfahren erster Instanz vielleicht nicht immer zur Verfügung steht.

Nicht unbedingt tröstlich für den Rechtssuchenden ist auch die weitere Erkenntnis, daß diesbezügliche Korrekturmöglichkeiten im Berufungsverfahren, sofern ein solches von der Streitwerthöhe her zulässig ist, eher gering zu veranschlagen sind, da die Berufungsgerichte einer Wiederholung erstinstanzlicher Beweisaufnahmen mit einer erheblich größeren höheren Zurückhaltung gegenüberstehen, als es aus den oben erwähnten statistischen Wahrscheinlichkeiten zu schlußfolgern wäre.

Fazit:

Wenn irgendmöglich sollten rechtlich bedeutsame Sachverhalte schriftlich niedergelegt werden, auch wenn dies im Einzelfall kleinlich oder umständlich erscheinen mag. Dem gelegentlich zu hörenden - natürlich nicht begründeten - Vorwurf, daß durch ein Bestehen auf schriftliche Fixierung dem anderen Teil quasi eine Art Mißtrauen zum Ausdruck gebracht würde, kann durch den Hinweis begegnet werden, daß man selbst eine Gedächtnisstütze benötige oder man auch den Fall bedenken müsse, daß eine der heute handelnden Personen später vielleicht nicht mehr zur Verfügung steht. Auch kann argumentiert werden, daß ein schriftliches Niederlegen von Vereinbarungen noch nie geschadet hat, während gerade das Gegenteil zu unzähligen Gerichtsverfahren geführt hat.